Bindungsfähigkeit

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Die Grundlagen der Bindungsfähigkeit werden im ersten Lebensjahr des Kindes angelegt.

Ab dem Tag der Geburt ist das Verhalten des Kindes daran ausgerichtet, die Aufmerksamkeit einer erwachsenen Person zu erhalten. Hierfür verfügt es über ein biologisch angelegtes Repertoire an Verhaltensweisen: weinen, schreien, glucksen, grinsen…, die der erwachsenen Person signalisieren, wie sich das Kind fühlt und was es benötigt.

Für die gesunde Entwicklung eines Säuglings ist es absolut notwendig, dass seine primäre Bindungsperson feinfühlig ist. Das heißt, die Signale des Säuglings müssen von der erwachsenen Bezugspersonen verstanden und die dahinter stehenden Bedürfnisse unmittelbar, regelmäßig und zuverlässig befriedigt werden. Dies stellt die existentiellen Grundbedürfnisse (Nahrung, Sauberkeit, Wärme) sicher und gibt dem Kind die Sicherheit, sich auf die Erkundung der Welt einzulassen.

Die erwachsene Bezugsperson muss nicht zwangsläufig die leibliche Mutter sein. Auch andere Erwachsene können diese Rolle übernehmen, wenn sie dem Kind liebevoll begegnen, beständig und für das Kind gefühlsmäßig erreichbar sind und ihre Zahl überschaubar ist. Zwar liebevoll zugewandte, aber ständig wechselnde Bezugspersonen können dem Bindungsbedürfnisses eines Säuglings/ Kleinkindes nicht gerecht werden.

Werden die Signale des Kindes erkannt und seine Bedürfnisse zuverlässig, liebevoll und beständig erfüllt, kann das Kind eine sichere Bindung eingehen. Es wächst in dem Bewusstsein von Sicherheit und Geborgenheit auf und erhält daraus die Zuversicht, auch in neuen Situationen Schutz finden zu können und sie nicht als Bedrohung zu erleben. Es kann „die Welt erkunden“.
Ein bindungssicheres Kind verhält sich eher unternehmungslustig. Solange die Eltern in Sichtweise sind, bewegt es sich von ihnen fort, um seine Umgebung zu erforschen. Es entwickelt Neugier und Selbstständigkeit, denn es weiß, dass es im Zweifelsfall beschützt wird. In ungewohnten Situationen schwindet jedoch seine Neugier und es sucht die Nähe seiner erwachsenen Bezugspersonen, um zunächst von dort aus – sicher und beschützt – die neuen Erfahrungen einzuschätzen.

Das Erleben einer sicheren Bindung und damit verbunden die positiv geprägten Erlebnisse und Erfahrungen führt zu einer Hirnreifung. Bei der Geburt ist das Gehirn nur mit den „genetisch verankerten Programmen“ ausgestattet, die überlebensnotwendig sind. „Alles andere“ muss sich entwickeln. Das Gehirn muss reifen, es werden Vernetzungen aufgebaut. Die Entwicklung dieses Reifungsprozesses ist abhängig von den Erfahrungen, die das Kind macht und den Dingen, die es erlebt. Positive Erfahrungen und Altersangemessene und ausreichende Anreize fördern die Reifung des Gehirns – sowohl im Bereich der kognitiven als auch der emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Aus diesem Prozess entsteht eine emotionale Bindung, die für ein ganzes Leben wichtig ist.

Erleben Kinder in dieser sehr frühen Phase ihres Lebens (und auch darüber hinaus) ihre erwachsenen Bezugspersonen als nicht dauerhaft zuverlässig und beständig, sondern als ambivalent, desorientiert oder gar abweisend oder müssen sie die Erfahrung machen, dass ihre „Bindungsangebote“ (die Signale, die sie geben) nicht angenommen oder falsch gedeutet werden (z.B. bei Vernachlässigung), kann es nicht nur zu körperlich existentiellen Problemen, sondern auch zu langfristigen Bindungsstörungen mit Folgeschäden in der emotionalen Gesundheit kommen.

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