Anpassungsphase bei Pflegekindern

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In der ersten Zeit nach der Platzierung in eine Pflegefamilie scheint sich das Kind den neuen Lebensbedingungen problemlos anzupassen. Pflegeeltern sind meistens angenehm überrascht, wie gut es mit dem neuen Kind in der Anpassungsphase geht. Dies bedarf einer Erklärung:

Pflegekinder kommen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit ihrer Herkunftsfamilie und ihren ganz persönlichen Fähigkeiten in ihre neue Familie. Aus diesem Grund und aus Angst, Unsicherheit und Ambivalenz von Zu- und Abwendung gegenüber den neuen Menschen und der unbekannten Situation, bewältigen sie auf unterschiedliche Art und Weise die Anfangsphase.

Das distanz- und beziehungslose Kind z.B. flüchtet in oberflächliche Aussenbeziehungen, weil es sich auf Grund seiner Geschichte schwerlich auf eine tiefere Eltern-Kind Beziehung einlassen kann.

Das überangepasste Kind versucht die neue Situation zu bewältigen, indem es sich den Erwartungen und Normen in der neuen Familie fraglos unterwirft, um so Konflikte vermindern oder ganz vermeiden zu können. Wenn das Kind beunruhigend gut funktioniert, will es nicht einfach einen guten Eindruck machen, sondern es hält auf diese Weise seine eigene Angst und Unsicherheit unter Kontrolle.

Wenn ein Kind grundsätzlich noch orientierungs- und handlungsfähig ist, bewältigt es die erste Phase oft durch neugieriges, exploratives Verhalten, was ihm so hilft, seine Angst zu reduzieren.

Die Überanpassung wird oft nicht als eine hinderliche Anpassungsform erkannt. Pflegeeltern sind immer wieder erfreut, wie gut und problemlos sich das neue Kind in ihre Familie einlebt. Die Versuchung ist gross, das Kind rasch nach den eigenen Vorstellung und Werten erziehen zu wollen. Wenn das Kind nach einiger Zeit plötzlich beginnt, die Beziehungen zu den Pflegeeltern aufgrund seiner früheren Erfahrungen nach alten Mustern zu gestalten, reagieren sie oft mit Anpassungsdruck, indem sie etwa sagen: „Das geht aber nicht in unserer Familie. Vorher warst du doch so ein liebes Kind, wir möchten, dass das so bleibt“.

Das Auftauchen von Konflikten sollte als Entwicklungsschritt interpretiert werden, als Hinweis auf gewachsene Sicherheit und als Chance zur Aufarbeitung der bisherigen Erfahrungen des Kindes. Die Pflegeeltern sollten sich in solchen Momenten fragen:„ Was sagt mir das Kind durch sein Verhalten über seine bisherigen Erfahrungen, über seine Gefühle und Erwartungen?“ Es geht hier nicht um die Frage: „Was kann ich machen, damit sich das Problemverhalten des Kindes so schnell wie möglich ändert?“ Das Verstehen des kindlichen Verhaltens ist wichtig, nicht in erster Linie das Verändern.

Indem sich die Pflegeeltern von den Bedürfnissen und Wünschen des Kindes leiten lassen, ermöglichen sie ihm, Einfluss zu gewinnen und seine Unsicherheit allmählich aufzugeben. Gerade die Kinder, die ihre Eltern als überwältigend und rücksichtslos erlebt haben, konnten kaum je erfahren, dass sie selbst Einfluss auf Menschen haben, die die Befriedigung ihrer Wünsche und Bedürfnisse hätten ermöglichen können. Oft kompensiert ein Kind seine Ohnmacht und Hilflosigkeit durch Größenfantasien und Pseudounabhängigkeit. Wenn ihm ein gewisser Einfluss zugestanden wird, muss es sich weniger hilflos und ohnmächtig fühlen. Es kann seinen Selbstwert und sein Selbstbewusstsein Schritt für Schritt entwickeln.

Alle Bemühungen von Erziehenden, das Verhalten eines ohnmächtigen Kindes zu steuern und zu beeinflussen, werden ihm seine Ohnmacht erneut bestätigen. Häufig wird dies falsch verstanden, indem die Pflegeeltern meinen, man dürfe doch dem Kind nicht einfach alles erlauben, sonst würde es die andern Menschen beherrschen. Natürlich darf man einem Kind nicht alles erlauben, wenn man die Schutzfunktion wahrnimmt, die ein Kind braucht. Natürlich muss ein Kind auch lernen, Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen. Aber erst die Erfahrung, dass ein Mensch auf seine Wünsche und Bedürfnisse Rücksicht nimmt, schafft die Voraussetzung, dass die Wünsche und Bedürfnisse des anderen, die die eigenen einschränken, berücksichtigt werden können. Oft wird nicht wahrgenommen, welche Folgen der frustrierende und rücksichtslose Umgang mit den Wünschen und Bedürfnissen für das Selbst des Kindes, sein Selbstwertgefühl und seine Selbstachtung haben.

Erziehende sollten sich weniger von Erziehungsplänen als vielmehr vom Kind selber lenken lassen. Auch wenn die Wünsche und Bedürfnisse eines Pflegekindes noch so verzerrt sind, man wird nur etwas von ihnen erfahren, wenn man das, was das Kind in seinem Verhalten, im Spiel und in dem, was es mit dem Erwachsenen macht, als Ausdruck seiner berechtigten Wünsche und Bedürfnisse interpretiert. So erhält man die Chance, dieses Kind verstehen zu lernen

Merke:

In der Anpassungsphase checkt das Kind ab, wo es ist, ist vielleicht zurückgezogen, zeigt Trauer. Es versucht herauszufinden, ob es sich sicher fühlen kann, ist vielleicht sehr brav, angepasst und geht kein Risiko ein. Es kann zurückgezogen, sehr schüchtern, übermäßig autonom sein und sehr unruhig oder häufig krank sein.

Siehe Uebertragungsphase, Regressionsphase

Quelle:

„Pflegekinder. Psychologische Beiträge zur Sozialisation von Kindern in Ersatzfamilien“. Monika Nienstedt / Arnim Westermann. Votum Verlag GmbH, Münster. 1989.

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